Müsste ich die eine Sache benennen, die mein (Business-)Leben in den letzten 12 Monaten nachhaltig verändert hat, dann ist das ganz klar „Profit First“.

Genau vor einem Jahr, Anfang August 2017, habe ich im Rahmen des „Profit First Sommercamp“ von Benita Königbauer, „Profit First“ in meinem Unternehmen eingeführt.

Da ich im Moment fast täglich auf Facebook Werbung für einen Podcast sehe, der vor „Profit First“ für junge Online-Businesses warnt – und mich jedes Mal wieder darüber ärgere 😉 – ist es für mich der perfekte Zeitpunkt genauer zu schauen, was sich in diesem einem Jahr „Profit First“ in meinem Business geändert hat.

Ein Rückblick: Juli 2017

  • Als Startup musst du bereit sein, privates Geld in dein Unternehmen zu stecken.
  • Ohne (Re)Investition von Anfang an ist kein Wachstum möglich.
  • Auf Gehalt musst du zugunsten des Wachstums verzichten.
  • Ein richtiges Unternehmen kann frühestens nach 3-5 Jahren Gewinn machen.

Nach diesen Grundsätzen habe ich bis Juli 2017 mein Business geführt, sie wurden mir schließlich von erfahrenen Business-Coaches nahe gelegt.

Ich habe also regelmäßig aus meinen privaten Rücklagen in mein Business investiert, z.B. für Weiterbildungen oder Coachings. Gleichzeitig habe ich mir ein eher symbolisches Gehalt ausbezahlt, um stattdessen durch Reinvestition Wachstum zu ermöglichen. Ein Gewinn kam nicht mal in meinen kühnsten Träumen vor.

Bei aller Investition fürs Wachstum, musste ich trotzdem von irgendetwas abbeißen, sowie meine private Miete, Nebenkosten etc. bezahlen. Und zwar regelmäßig! Ich vermute dir geht es ähnlich, oder?
Auch waren meine privaten Rücklagen endlich und eigentlich für komplett andere Dinge vorgesehen.

Mir war klar, dass das so nicht auf Dauer funktionieren kann. Aber außer noch mehr zu arbeiten, hatte ich keine wirkliche Strategie. Und auch das funktionierte nicht so richtig, denn mit steigendem Umsatz, stiegen immer auch sofort die Ausgaben: da ein Tool, dort ein Kurs …. du kennst das ja vielleicht…

Darf ICH Profit machen?

„Profit First“ hatte ich auf Empfehlung bereits als Hörbuch gehört, aber wenn ich ehrlich bin, der Name hat mir erstmal richtig Schmerzen bereitet.

Das Wort „Profit“ war für mich dermaßen negativ belegt, es war 1:1 mit Profitgier verknüpft. Ich hatte direkt große Konzerne, die Mitarbeiter schlecht behandeln und Kunden abzocken, um möglichst viel Profit aus dem Unternehmen zu quetschen, vor Augen. Und dann auch noch „First“! ( Hallo, Mindset <3 )

Das ging sogar so weit, dass ich anfangs, wenn ich begeistert von „Profit First“ erzählt habe, immer erklärend, ja fast schon entschuldigend, hinzugefügt habe: „Nein, nein, keine Sorge, mir geht es jetzt nicht plötzlich um den großen Profit“.

Wenn ich heute drauf zurückblicke, dann bin ich überzeugt:
Dein Unternehmen braucht von Anfang an eine Gewinnerzielungsabsicht, sonst betreibst du ganz einfach ein Hobby.

„Profit First“ – die Basics

Falls du „Profit First“ noch nicht kennst, hier für dich ganz kurz zusammengefasst die Grundlagen:

Die meisten Unternehmen, rechnen gemäß der betriebswirtschafltichen Auswertung mit der Formel Umsatz – Kosten = Gewinn.
Mike Michalowicz, der Gründer von „Profit First“, stellt diese Formel um in Umsatz – Gewinn = Kosten.

Von jeder Einnahme verteilst du zuerst Gewinn, Gehalt und Steuerrücklage, was übrig bleibt, kannst du für deine Kosten verwenden. Das begrenzt die Kosten ganz natürlich.

„Profit First“ liefert für die prozentuale Verteilung Empfehlungen bzw. Anhaltspunkte, je nach Unternehmensgrösse oder landestypischer Steuerlast. Aber du hast selbstverständlich jede unternehmerische Freiheit: Du passt die Prozente deinem Unternehmensziel an.

Gewinn vs. Gehalt

Noch heute treffe ich häufig auf Unverständnis: „Warum machst du es dir so schwer? Als Einzelunternehmer ist doch alles was dir nach Abzug der Kosten übrig bleibt dein Gewinn, warum unterscheidest du künstlich zwischen Gewinn und Gehalt?“

Das Unternehmergehalt honoriert deine tägliche Arbeit im Unternehmen. Würdest du jemanden einstellen, der die tägliche Arbeit für dich erledigt, müsstest du diese Person ja auch bezahlen.

Der Gewinn hingegen entlohnt dich für den Einsatz deines Kapitals und dein unternehmerisches Risiko.

Und ganz unabhängig davon bleibt bei vielen Unternehmen, wie auch bei mir vor „Profit First“, nicht mehr viel übrig, nachdem die Kosten bezahlt sind.

Wenn du mehr zu „Profit First“ wissen willst, kann ich dir für den Einstieg auf jeden Fall das Buch empfehlen oder schau dich auf www.profit-first.de um.

Was hat sich bis heute geändert?

Ein paar Fakten:

  • ich kenne meine Zahlen, tagesaktuell
  • bis heute habe ich mir knapp 75% meiner Privateinlagen zurückzahlen können
  • seit Oktober 2017 zahle ich mir jedes Quartal meinen Gewinnanteil aus, stetig steigend
  • meinen Umsatzplan habe ich in 9 der letzten 12 Monate deutlich übertroffen und den Vorjahresumsatz bereits im Juni erreicht
  • ich habe eine Gehaltsrücklage für 3 Monate gebildet
  • seit 12 Monaten zahle ich mir regelmäßig ein Unternehmergehalt aus
  • dank perfekt kalkulierter Steuerrücklage konnte ich die Steuer für 2017, sowie die Vorauszahlung für 2018 direkt bezahlen, den  – gegen eine kleine Gebühr – vom Finanzamt angebotenen Aufschub, habe ich dankend abgelehnt 😉
  • ich investiere regelmäßig und gezielt in Coaching, Kurse, Software oder Marketing

Durch das regelmäßiges Hinterfragen und Überprüfen meiner Ausgaben – nutze ich ein Abo wirklich? Wann habe ich ein Tool zuletzt verwendet? Gibt es Alternativen? –  werden regelmäßig Gelder frei für neue Investitionen.

Vor einer neuen Investition prüfe ich nicht nur, ob ich dieses Produkt/Kurs/Coaching/Tool JETZT wirklich brauche, ob es mich JETZT in diesem Moment weiterbringt, sondern ich schaue, ob ich es mir leisten kann. Das heißt in diesem Fall, ob auf meinem Betriebskostenkonto genügend Geld für die Investition ist.

Es lebe die Freiheit

„Profit First“ ist kein starres System, es lässt dir jede Freiheit und das nicht nur bei der prozentualen Verteilung der Einnahmen.

Ich habe mich z.B. bewusst dagegen entschieden, mit meinem Gewinnanteil meine Privateinlagen zurückzubezahlen. Die Regel ist eigentlich, dass auch der Großteil der Gewinnausschüttung, bis zu 95%, für die Rückzahlung von Schulden verwendet wird, und nur mit dem Rest gefeiert wird.

Bei der ersten Gewinnausschüttung im Oktober 2017 habe ich bemerkt, dass ich dieses Momentum für mich nutzen möchte. Kannst du dir vorstellen, wie ein Abendessen, bezahlt vom ersten Gewinn, schmeckt? Es ist der Wahnsinn und dieser Moment bringt so viel Stolz, Motivation und Vorfreude auf das nächste Quartal, das dann vielleicht statt einem Abendessen schon einen Wellnesstag ermöglicht…

Ich zahle mir meine Privateinlage nur über die Betriebskosten zurück. Ist das 100% korrekt? Nein! Aber für mich fühlt es sich richtig an, ich werde das konsequent, bis im Dezember der letzte Euro zurückgezahlt ist, durchziehen und nur darum geht es doch eigentlich.

Auch habe ich für mich die zusätzliche Regel eingeführt, dass ich meine Gehaltsauszahlung immer erst erhöhe, wenn ich exakt 3 Monatsgehälter als Rücklage gebildet habe. Das heißt eine Erhöhung von 2.000€ auf 2.500€ findet erst statt, wenn die Rücklage 7.500€ enthält.

Mir ging es in den letzten 12 Monaten darum, mein Unternehmen auf ein stabiles Fundament zu stellen, das nachhaltig Wachstum ermöglicht. Das aber auch Umsatzschwankungen, die jedes Unternehmen kennt, oder eine Erkrankung aushält. Warum sollten Unternehmer seltener erkranken als Arbeitnehmer, Grippeviren unterscheiden da bisher nicht. 😉

Das ist sicher das Gegenmodell zu „getting rich quick“, aber es ist das Modell, das zu mir passt. Ich hatte vor 4 Jahren einen Burnout und weiß, wie schnell es gehen kann, dass man gesundheitsbedingt mehrere Monate ausfällt.

„Mit Profit First wäre ich nicht da, wo ich heute bin“

Diese Aussage habe ich so oder so ähnlich schon mehrmals von erfolgreichen Business- bzw Moneycoaches gehört.

Ganz ehrlich, das verstehe ich nicht. Meine Vermutung: „Profit First“ wurde entweder in der Komplexität nicht verstanden oder aber fehlinterpretiert. Gerade weil du die Prozente immer an dein Unternehmensziel anpasst, behältst du jede unternehmerische Freiheit und Kontrolle.

Ich persönlich finde viel mehr die Empfehlungen, die mir gegeben wurden verantwortungslos.

„Profit First“ unterstützt mich zu wachsen, Umsatz und damit Gewinn und Gehalt zu erhöhen, aber nicht durch ein „immer schneller im Hamsterrad“ oder mehrjährige Reinvestition mit Verzicht auf jegliches Gehalt und Gewinn, sondern dadurch, dass ich

  • jederzeit absolute Klarheit über meine Zahlen habe
  • meine Ausgaben unter Kontrolle habe und regelmäßig hinterfrage
  • weiß, welches Produkt/welche Dienstleistung und auch welche Kunden mir meinen Umsatz bringen
  • immer wieder meinen Wunschkunden schärfe
  • lerne, meine Preise richtig zu kalkulieren

In den letzten 12 Monaten habe ich meine Kosten um 6 Prozentpunkte gesenkt, gleichzeitig aber meinen Umsatz verdreifacht, dadurch habe ich heute deutlich mehr Geld für Ausgaben zur Verfügung. Das zeigt, dass „Profit First“ in keinster Weise das Wachstum beschränkt, wie es diverse Coaches behaupten.

Du hast immer die Wahl: Kosten reduzieren oder Umsatz erhöhen.

Benita hat einen sehr viel tiefergehenden Blogartikel zum Thema Wachstumschancen mit „Profit First“ geschrieben, den ich dir auf jeden Fall empfehle.

Ist es wirklich so einfach?

Bin ich dort, wo ich hin möchte? Nein, und das wäre nach einem Jahr wohl auch utopisch. Aber ich bin auf dem richtigen Weg!

Hab ich das allein aufgrund von „Profit First“ geschafft? Natürlich nicht! Ich habe sehr hart und diszipliniert gearbeitet und auf vieles verzichtet. Der Wendepunkt war aber auf jeden Fall der Moment, als ich meine Zahlen schwarz auf weiß gesehen habe, schonungslos und komplett ehrlich, ohne die Chance mich weiter selbst zu belügen. Und ja, das hat erstmal weh getan.

Kannst du das nur mit „Profit First“ schaffen? Ich bin kein Fan von Absolutismen. Für mich ist „Profit First“ das Richtige, deswegen empfehle ich es dir von Herzen. Aber viel wichtiger ist, dass du herausfindest, was zu dir (brauchst du Sicherheit oder bist du vielleicht eher ein „Zocker“), deinen Rahmenbedingungen (musst du Miete zahlen, hast du Kinder zu versorgen) und deinen Ressourcen (wie schaut es aus mit Rücklagen, hast du einen Partner, der den Lebensstandard sichert) passt.

Der eine erste Schritt

Wenn du heute einen ersten Schritt machen willst, ganz unabhängig von „Profit First“, dann verschaff dir absolute Klarheit über deine Zahlen: Einnahmen, Ausgaben, Schulden – dazu gehört auch, was du aus privaten Rücklagen in dein Business investiert hast.

Meine Zahlen tagesaktuell zu kennen, ich schau sie mir wirklich täglich an, ist bis heute für mich das mächtigste Instrument überhaupt.

Und wenn du dann eh schon dabei bist 😉 … schau dir deine Ausgaben genauer an, nutzt du z.B. alle Abos, die du monatlich bezahlst oder zahlst du für Dinge, die du eigentlich schon lange kündigen wolltest. Dann kündige sie direkt heute, egal wie lang die Restlaufzeit noch ist. Mach dir das Überprüfen deiner Ausgaben zur Routine, z.B.  einmal im Quartal.

Und für den extra Motivationsschub zum nächsten Quartalsbeginn, leg dir ab der nächsten Einnahme direkt deinen Gewinn beiseite – und wenn du mit 1% beginnst – , dann können wir gemeinsam feiern.

 

Falls du „Profit First“ bisher noch nicht gekannt hast, kannst du eine Kleinigkeit direkt für dich anwenden? Oder hast du bereits Erfahrungen mit „Profit First“ gemacht?
Ich freue mich, wenn du deine Gedanken mit mir teilst, gerne hier als Kommentar auf meinem Blog oder auf Facebook.

Olivia Hettler I Technical Strategist

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